Opern-Kritik: Die Meistersinger von Nürnberg in Salzburg

Was für ein Skandal in Salzburg! Da möchte man in Ruhe eine Inszenierung der Meistersinger von Nürnberg genießen – und dann so etwas! Ein Krokodil auf der Bühne beim 3. Aufzug der Meistersinger, obwohl davon nichts in der Partitur steht! Genauso eine halb-Meter großen Schnecke im 2. Aufzug – völlig gegen die Partitur. Und diese infantilen Witze, die zeigen, dass der Regisseur das Publikum für minderbemittelt hält! Und es kam noch schlimmer: vor der Bühne turnte die ganze Zeit ein Typ herum und wedelte mit den Armen, ca. hundert Leute saßen zusätzlich in der Gegend und wackelten herum. Zusätzlich zu diesen Ablenkungen waren in der Inszenierung sogar noch Kameras an solchen Stellen aufgebaut worden, dass man als Zuschauer ständig auf die Bildschirme schauen musste und vom Bühnengeschehen abgelenkt wurde. Wenn man trotz dieser Zumutungen des „Regietheaters“ doch noch Zeit hatte auf die Bühne zu schauen, wurde man überwältigt von den opulenten und schönen Kostümen und dem Rumgehampel der Sänger, so dass der Musikgenuss noch weiter behindert wurde. Wobei von all diesen skandalösen Bildern das Krokodil eindeutig die größte war.

Wer ob dieser Zumutungen nicht aus dem Saal rannte um die Trillerpfeifen zu holen merkte schnell: Otto Schenk ist zurück! Herheim inszeniert einen Kostümschinken sondergleichen, über das Werk lernen wir Null Komma Null, wir bekommen nur eine 1:1-Darstellung des Textes. Die ersten beiden Aufzüge spielen im Kopf von Sachs und Beckmesser (als dessen Schatten), die zu Beginn zu sehen waren auf der Suche nach Inspiration. Zu Beginn der Schusterstube ist es dann die „echte“ Stube des Sachs, wobei zur Festwiese noch größere Kulissen, die identisch aussehen, gezeigt werden, so dass eine dritte Ebene behauptet wird (Wagners oder des Zuschauers Kopf). Zuletzt wird schamlos die Idee des Kasseler Tannhäusers geklaut und die Nürnberger Spielwarenmesse in Kostümen gezeigt mittels Figuren aus Grimms Märchen. Daraus wird das regelmäßig vertrenene behauptet, dass der Schluss völlig normal sei, da nur die deutsche Kunst statt des Staates gelobt werden solle.

Allein: das bleibt Behauptung, ohne jegliche Belegung. Das Beschriebene wird am Rande dargestellt und gilt schlichtweg als Aufhänger für banales, dummes, kitschiges und nichtssagendes Theater. Es gibt immerhin Personenführung, die jedoch sich auf die bloße Erzählung der Geschichte beschränkt. Während andere Regisseure sich bemühen, die Brüche und Irrwege hinaufzuarbeiten, wird hier nur bebebildert in einer Weise, dass jeder vermeintlich einen „schönen“ Opernabend erleben kann. Dass für die Behauptung der verschiedenen Ebenen ein Kasperltheater verwendet wird, ist eine treffende Darstellung der Inszenierung. Wenn dann zum Schluss alle gemeinsam jubelnd die Aufnahme Stolzings als Meister feiern bleibt der fahle Schatten, dass aus bloßer Geilheit an Applaus der faschistoide Gehalt des Werkes betont und ausgenutzt wird. Dazu passt der folgende Jubel des Publikums in trautem deutsch-österreichischem Zusammenschluss.

Wer angesichts der szenischen Langeweile nicht einschlief, erlebte eine musikalisch überwiegend positive Aufführung, wobei das Niveau mit der Bayreuther Neuproduktion nicht mithalten konnte.

Markus Werba gab einen bewegenden Beckmesser, auch wenn ihm noch etwas Gestaltungskraft fehlt, um an die großen Rollenverteter anzuknüpfen – jedenfalls ein sehr vielversprechender junger Sänger, von dem wir noch einiges erwarten können. Erstklassig der David von Peter Sonn, der mit einer durchsetzungsfähigen Stimme und großer Gestaltungskraft intensiv gestaltete. Roberta Saccà als Stolzing war anfangs kaum hörbar, aber steigerte sich ungemein und lieferte ein solides Rollenbild der Stolzing ab, auch wenn im Haus seine Stimme etwas angestrengt und bemüht klang – bei der Übertragung im Public Viewing war sein helles Timbre und Gestaltungsfähigkeit deutlicher zu hören. Dass er in den Chorszenen öfters unterging – nicht der einzige. Zeppenfeld als Pogner blieb eher blass, vielleicht hatte er keinen guten Tag. Nicht so gut: die Damen. Monika Bohinec als Magdalene klang angestrengt und blieb blass. Anna Gabler als Eva hingegen klang im Haus gaumig, schwammig und wenig textverständlich, im Fernsehen hingegen kam sie besser zur Geltung, trotz Intonationsschwächen.

Die Leistung von Michael Volle kann ich nicht in Worte fassen. Ein solcher Sachs dürfte nicht nur derzeit singulär auf der Bühne sein. Der Versuch einer Beschreibung: Bis zum Schluss volle Power gesungen und nicht schwächelnd, volle Textverständlichkeit, gestaltend wie ein Lied-Sänger. Interpretiert wurde in dieser Aufführung tatsachlich nur dann, wenn Volle sang: Er gestaltete so intensiv und vielschichtig, dass Sachs bis in alle Details ausgeleuchtet wurde. Wahnsinn!

Überzeugen konnte auch Daniele Gatti, der bereits zu Beginn eine Überraschung bereit hatte: er kann auch schnell dirigieren! Und das tat er oft, aber auch oft sehr langsam, einzelne stellen wunderbar auskostend. Er erzeugte viele Farben und durch seine teils ungewöhnlichen Tempi viele innige und berührende Stellen, die aber nie für sich standen, sondern beeindruckend zu einem spannenden Gesamtbild verwoben wurden. Da durfte es auch mal knallen und bombastisch übertrieben werden, mal kammermusikalisch ausmusiziert sein. Insgesamt sicherlich ungewöhnlich und etwas unausgeglichen, aber doch sehr spannend.

Sängerisch und seitens des Orchesters also sehr achtbar, leider zerstört durch die an Kitsch nicht mehr zu überbietende Inszenierung, die entsprechend für alle Bayreuth-Geschädigten, die ihr Hirn in der Oper ausschalten möchten genau das rechte.

Anmerkung: Die Opern-Kritik zu „Die Meistersinger von Nürnberg“ in Salzburg bezieht sich auf die Premierenvorstellung. Der Schluss des 3. Aufzuges wurde beim Public-Viewing nochmals angehört.

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