Der Parsifal ist eine eindrückliche und mysteriöse Oper. Sie muss während der Osterzeit auf den Spielplänen der Opernhäuser stehen und immer wieder neu inszeniert werden – egal, ob die Künstler etwas zu sagen haben oder nicht. An Neuproduktionen versuchen sich dieses Jahr die Staatsoper Berlin, die bei Wagner-Inszenierungen derzeit nichts halbwegs ordentliches zu Stande bringt, und das Staatstheater Karlsruhe, das letztes Jahr mit einer der besten Meistersinger-Inszenierungen aller Zeiten auf sich aufmerksam machte. Beide scheitern kläglich und machen aus dem Epos Parsifal einen Epic-Parsifail.
Ein Parsifal muss unbedingt weihevoll und mystisch sein, so wollen es Publikum und Künstler. Musikalisch soll das alles langsam, ruhig, getragen sein, szenisch zurückhaltend, weihrauchgeschwängert und überhaupt wie ein Gottesdienst oder eine kultische Handlung zelebriert werden. Darüber wird dann gerne vergessen, dass irgendeine Spannung vorhanden sein sollte, eine Geschichte erzählt werden oder Personen geführt.
Exemplarisch dafür, wie man einen Parsifal nicht aufführen sollte, ist die Neuproduktion an der Staatsoper Berlin, bei der Barenboim mit seiner Langsamkeit und Spannungsarmut die Sänger musikalisch erwürgt und die Szene sich auf in düsteres Licht und Theaternebel getauchtes statisches Rampenstehen beschränkt. Dmitri Tcherniakov scheint ein gefeierter Regisseur für seine Fähigkeit zu sein, ein eindrucksvolles Bühnenbild auf die Bühne zu stellen und in diesem möglichst wenig zu erzählen was „von der Musik ablenken“ könnte.
Angedeutet werden die Gralsritter und Klingsor als verschiedene Sekten, die… – nun eben eine Sekte sind. In diesem möchtegern-skandalösen Setting wird dann völlig altbackenes Rumsteh-Theater präsentiert. Alle bewegen sich weihevoll, langsam und statisch. Es passiert eigentlich nichts, es wird keine Geschichte erzählt, es wird nur stümperhaft bebildert. Im 2. Aufzug beschränkt sich die Inszenierung auf eine Doppelung der gesungenen Handlung, ganz toll. Nur zum Ende des 3. Aufzugs scheint es, als habe Tcherniakov mal in die Partitur geschaut: hier wird der Chor deutlich in zwei Gruppen unterteilt, die in ihrer Panik ob des bevorstehenden Todes sich zu prügeln anfangen, danach wird die einzige Frau Kundry durch Gurnemanz ermordet (was wir so schon von Konwitschny/Hintze kennen, aber immerhin).
Dieses szenische Nichts wäre nicht so schlimm, wenn nicht Barenboim jegliche musikalische Spannung abtöten würde. Auch Barenboim versucht, die Musik möglichst weihevoll erscheinen zu lassen – und scheitert kläglich. Das ist schade, da die Staatskapelle wunderbar spielt, ein schöner Klang und wunderbare Soli. Bereits das Vorspiel hat gefühlte 30 Generalpausen, auch danach wird alles zerdehnt wie nur möglich, jegliche Spannung geraubt. Einen großen Bogen gibt es nicht, es bleibt bei einer zerfaserten Darstellung möglichst statisch vorgetragener einzelner Stellen. Besonders schlimm ist, dass Barenboim den Sängern jegliche Luft zum atmen und gestalten abschnürt.
Leider, denn aufgefahren wurde ein beeindruckendes Sängerensemble. Anja Kampe trotzt einer Erkältung (in zwei wirren Reden durch den greisen Herrn Flimm angesagt) und singt die Kundry präsenter und schöner als die meisten anderen Sängerinnen derzeit. Aufgrund der Erkältung fehlen ihr leider die Höhen fast vollständig und auch laute Ausbrüche sind nicht möglich – es wird dennoch deutlich, welche Kundry der Extraklasse Kampe sein kann. Rene Pape ist zweifellos einer der weltbesten Bässe, er singt die Rolle balsamisch, rund, geprägt von merklich tiefen Verständnis der Rolle und kommt mit den Tempi zu Recht – leider verlässt ihn zum Ende hin die Kraft, wie man das vor ein paar Jahren nicht erwartet hätte. Wolfgang Koch ist ein klangschöner und stimmgewaltiger Amfortas, der die Leiden eindringlich singt – allerdings unter dem Dirigat zu leiden hat. Matthias Hölle überzeugt mit profundem Bass ebenso wie Tomas Tomasson als, wenn auch etwas frei gestalender, Klingsor. Die wenigste Mühe hatte Andreas Schager – stimmgewaltig, ausdrucksstark und intensiv sang er einen mustergültigen Parsifal.
Wenn zum Schluss der klangschöne, aber wenig durchschlagskräftige, Chor die Arme kollektiv gen Himmel auf der Suche nach Erlösung reckt, ist dieses Bild für einen Moment durchaus eindrücklich. Allerdings braucht Barenboim endlos, um endlich, endlich fertig zu werden. Je länger der Chor mit den Händen in der Luft rumfuchteln muss, umso mehr scheint es das Flehen an Barenboim zu werden: „bitte erlöse uns und das Publikum von unseren Leiden und mach endlich Feierabend!!“.
Musikalisch und szenisch hat Karlsruhe da die Nase klar vor Berlin, obwohl das insgesamt auch nicht viel besser wird. Mit Keith Warner hat man immerhin einen Regisseur, der den Begriff Personenführung schonmal gehört hat und sich größtenteils bemüht, das umzusetzen. Allerdings beschränkt auch er sich dabei auf das – nicht sehr spannende – Erzählen der Geschichte. Das Bühnenbild ist beeindruckend, über die Drehbühne können viele verschiedene Orte gezeigt werden. Leider wird die Drehbühne vor allem genutzt um davon abzulenken, dass Warner nicht wirklich was zu erzählen weiß. Anfangs sehr beeindruckend sind die Lichteffekte und wechselnden Stimmungen. Aber nach dem hundersten Wechsel wird das auch einfältig, da man bald lernt „Neuer Sänger oder neue Handlung, neues Licht“.
Den Schluss setzte Warner dann völlig in den Sand: das Gralsgefäß ist verschwunden, stattdessen kommen bunte Männer und Frauen auf die Bühne – und natürlich darf der ins Publikum leuchtende Scheinwerfer nicht fehlen. Ein furchtbar kitschiges Bild, das zeigt, dass Warner das Werk nicht verstanden hat. Warner ist offensichtlich nicht daran interessiert, den Parsifal zu erzählen, sondern nur in Weihe und Kitsch zu schwelgen. Dazu kommt, dass der 3. Aufzug gähnend langweilig dirigiert ist. Auch Justin Brown versucht dort sich im weihevollen und möchte es zelebrieren, kann dabei jedoch kaum Spannung aufrechterhalten. Schade, da es die ersten beiden Aufzüge viel besser war: Insbesondere der 2. Aufzug ist musikalisch packend erzählt. Im 1. Aufzug ist Brown nur 2 Minuten langsamer als Barenboim, dennoch ist Browns Dirigat viel dynamischer, harmonischer, flüssiger und runder.
Bei den Sängern gab es bis auf den Gurnemanz von Alfred Reiter, dessen eher kleine Stimme nicht ausreichend zur Geltung kommt und vor allem im 3. Aufzug oft kaum mehr zu hören ist, allesamt Rollendebüts. Das wird mal besser, mal schlechter bewältigt. Christina Niessen gibt alles und singt eine durchaus beeindruckende Kundry mit einer wunderbar weichen und schönen Stimme. Gesund für ihre Stimme ist das auf Dauer aber sicherlich nicht. Solide der Titurel von Avtandil Kaspeli, beeindruckend und stimmgewaltig der Amfortas von Renatus Meszar (für mich der beste Sänger des Abends). Erik Nelson Werner als Parsifal singt baritonal, teils gaumig und gepresst, aber insgesamt doch durchaus rollendeckend und kräftig. Überzeugen kann auch Jaco Venter als szenisch und musikalisch präsenter Klingsor.
Insgesamt sind also beide Aufführungen reichlich zähe Angelegenheiten, die ein starkes Plädoyer dafür sind, den Parsifal mal für längere Zeit an Ostern nicht aufzuführen. Nach vielen Irniss und Leiden Pfade wünscht man sich Erlöser in Form von Dirigenten und Regisseuren, die etwas zum Stück zu sagen haben und noch dazu Grundlagen des Regiehandwerks beherrschen. Hoffen wir, dass bald mal wieder ein solcher den Gralsbezirk einer Opernbühne betreten wird.