Opernkritik: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Youporn (Oper Köln, Premiere)

Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Youporn

zugleich: eine Lanze für das Staatenhaus (und Tannhäuser)

Zu Beginn der Aufführung im Staatenhaus der Oper Köln könnte man meinen, das Stück hätte mit „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Youporn“ einen angemessenen Namen. Aber so einfach macht es sich Patrick Kinmonth zum Glück nicht in seiner Inszenierung des Tannhäusers. Stattdessen erlebt man eine Maßstäbe-setzende Opernaufführung, die tief bedrückend, beglückend, bedrängend, befragend ist. Das ist das Verdienst einer grandiosen Ensembleleistung, die von Francois-Xavier Roth kongenial verbunden wird. Einen maßgeblichen Anteil tragen die szenischen Verhältnisse des Staatenhauses bei, die von der Regie genutzt werden und zu einer packenden Personenführung und pychologischen Ausleuchtung führen.

Das Staatenhaus wird vielfach angefeindet oder belächelt für die angeblich schlechte Akustik, die angeblich scheußlichen Räume oder das zweifelsfrei improvisiert-Wirkende. Die Tannhäuser-Aufführung zeigt, dass die Kritik nicht berechtigt ist – zumindest, wenn Regisseur und Dirigent die schwierigen Verhältnisse so gut nutzen. Dank des Orchesters „in“ der Bühne liegt der Fokus auf den Sängern. Das Staatenhaus verzeiht ihnen nichts, man hört einfach alles – jeden gelungenen Ton und jeden kleinsten Fehler. Die Akustik betont die Sänger – die schlichte Bühnentechnik betont die Personenführung und die Interaktion. Wer für die Szene verantwortlich ist, kann im Staatenhaus nicht die Sänger einfach an die Rampe stellen und dies über opulente Kostüme und Bühnenspektakel zu „verstecken“ suchen. Solche (leider oft anzutreffende) Scharlatanerie fliegt hier gnadenlos auf, das Hohle würde aufgrund der direkten Nähe von Bühne und Publikum sofort offenbar. Das ist heftig für Regisseure und die Sänger – doch beglückend für das Publikum, wenn so gut musiziert und gespielt wird wie in diesem grandiosen Tannhäuser.

Die Tannhäuser-Serie zeigt exemplarisch, wie Musik und Szene sich bedingen, ineinander übergehen. Die Klammer bildet GMD Roth, der ebenso detailgenau und sorgfältig wie musikalisch-emotional und ergreifend das exzellent aufspielende Gürzenich-Orchester dirigiert und den Kontakt mit den Sängern genauestens kontrolliert. So erzeugt Roth eine Spannung, ein Glitzern, ein Funkeln, das nicht beschrieben, nur erfahren werden kann. Schon jetzt ist Roth ein heißer Anwärter auf das „Dirigat des Jahres“.

Die Aufführung beginnt mit einem „hier und jetzt“: die Wartburg-Gesellschaft zuerst in alltäglicher Kleidung, aber schnell vor dem Laptop ausgezogen (vermutlich bei YouPorn?), die Frauen sitzen lustvoll, doch unbefriedigt als unbeachtete Objekte daneben. Das wirkt zeitgemäß, aber nicht platt, da Kinmonth die Szene schnell ändert und zwei Menschen zeigt, am Ende einer Beziehung, auseinandergelebt, uneins über die künftigen Wege. Das ist – auch dank der intensiven Darstellung durch David Pomeroy und Dalia Schaechter – anrührend, intensiv, schockierend, tragisch. Das Bühnenbild ist schlicht, doch über die breite Lichtinstallation mit den bewegbaren Säulen (unter Einbeziehung der Säulen des Staatenhauses) können viele unterschiedliche Stimmungen geschaffen werden. Innerhalb dieses schlichten Bildes erlebt man (weitgehend) eine intensive Personenführung, zumindest in den ersten beiden Aufzügen. Im dritten Aufzug wird die Personenregie zu weit zurückgefahren, hier hätte man sich mehr Handlung bzw. Interpretation gewünscht – gerade weil der Schluss, bei dem Elisabeth auf einem Scheiterhaufen landet, jedoch im Hintergrund mit Tannhäuser im Tode vereint wird, einerseits zu kitschig, andererseits zu platt wird. Die psychologische Deutung wird fortgeführt, die Grenzen zwischen Venusberg und Wartburg sind freilich fließend, auch dank einem groben Dutzend Damen in orangenen Perücken, die zwischen den „Welten“ zu fließen scheinen. In der Oper zeigte Wagner auch die Zerrissenheit des Mannes zwischen den verführenden Helena- und heiligen Maria-Gestalten. Insofern ist es logisch, wenn zu Beginn in Köln Venus und eine Marien-Gestalt auf der Bühne stehen – doch es findet sich noch eine dritte Dame, die sich schwerer einordnen lässt. Die vermeintlich offensichtliche Annahme, bei der Marien-Gestalt handele es sich um Elisabeth, wird erst später aufgelöst – denn Elisabeth scheint zwischen den beiden Extremen zu stehen und nicht so platt zuzuordnen. Das verdeutlichen auch die Kostüme der Damen, die den gleichen Schnitt aufweisen, aber durch andere Farben völlig unterschiedliche Eindrücke erwecken (aber warum trägt Venus Trauerkleidung statt ein verführerisches rot?). Diese psychologische Ausgestaltung führt Kinmonth durchgehend fort, doch nie mit dem Holzhammer und stets eigener Interpretation Raum lassend und mit einfühlsamer (zeitweise zu weniger) Personenführung.

Am meisten beeindrucken seitens der Damen Kristiane Kaiser als Elisabeth, die mit ihrem klaren Sopran, viel Gestaltung und Ausdruck begeistert, sowie María Isabel Segarra als junger Hirt, die die anspruchsvolle Partie makellos und glockenhell präsentiert (leider von der Regie im Hintergrund stehen gelassen). Bei den Herren begeistert Karl-Heinz Lehner mit seinem sonoren, klaren Bass (der allerdings bei der Premiere keinen perfekten Tag, sondern manche Kiekser hatte – ganz im Gegensatz zur besuchten späteren Vorstellung) und tiefgreifender Gestaltung sowie Miljenko Turk als stimmschöner, melodischer und tragischer Wolfram von Eschenbach. Doch auch David Pomeroy als Tannhäuser kann zusehends begeistern. Sicherlich ist noch einige Steigerung drin, da die Töne oft noch gepresst werden, doch für ein Rollendebüt ist die Leistung bereits ebenso beachtlich wie die Steigerung von der Premiere zur späteren Vorstellung. Mit etwas Übung kann er einer der ganz großen Interpreten des Tannhäusers werden. Dalia Schaechter als Venus begeistert mit ihrer Bühnenpräsenz und psychologischen Ausgestaltung der Partie, singt sehr anrühend und intensiv – angesichts dessen nimmt man leichte Einschränkungen bei manchen Ausbrüchen im 1. Aufzug gerne in Kauf. Ebenso überzeugen alle kleinen Rollen, die vier Edelknaben ebenso wie Dino Lüthy, Lucas Singer, John Heuzenroeder und Yorck Felix Speer als Tannhäusers frühere Gefährten.

Sensationell ist zudem der Chor! Dank der Bühnengestaltung stets unmittelbar zu hören – klangrein, intensiv, kräftig – nahe an der Perfektion. Einen solch überwältigenden Chor habe ich schon lange nicht mehr gehört. Die breite Bühne und die Akustik des Staatenhauses kommt dem Chor ebenso entgegen, wie die vielschichtige Aufstellung des Chores hinter, neben und vor Bühne und Publikumsraum. Ständig wird man überrascht von den Klängen, die aus mystischen Teilen des Raumes zu einem drängen. Erst Recht beim Schlusschor, der teilweise hinter dem Publikum positioniert ist – ein überwältigendes Erlebnis, wenn man das Glück hat, weit hinten zu sitzen.

Das sind nur wenige Beispiele, wie die schwierigen Verhältnisse des Staatenhauses genutzt werden, um ein singuläres und bewegendes Opernereignis zu schaffen. Diese Brecht’schen Verhältnisse, in denen das Publikum nicht von einer bunten Szene überwältigt wird, sondern stets verdeutlicht wird, dass wir uns in einer Opernauffindung befinden, könnte kein Regisseur absichtlich herstellen. Die Solisten gehen direkt vor dem Publikum auf- und ab. Wenn es zum nächsten Aufzug bläst, gehen Orchester, Chor und Solisten mit dem Publikum auf die Bühne (man kann noch gratulieren oder viel Erfolg wünschen), nach Aktschluss geht man zusammen wieder ab. Dieses Unmittelbare, Direkte ermöglicht eine besondere Atmosphäre, die man von Opernhäusern, in denen in der Regel eine strikte Trennung zwischen Mitwirkenden und Zuschauern herrscht, hier wunderbar aufgebrochen wird. Doch Kinmonth schafft es in seiner Inszenierung immer wieder, das Theater vergessen zu machen. Vielmehr tauchen die Sänger plötzlich an völlig unerwarteten Stellen wieder auf, es gibt tolle Effekte (wohin verwindet die Axt so plötzlich?!?) – so sehr man sich konzentriert, ständig wird der Zuschauer überrascht. Das wird verbunden mit der psychologischen Ausleuchtung der Personen, tollen Sängern und Chor sowie einem grandiosen Dirigat. Eine Sternstunde, wie man sie als Wagnerianer nur selten erlebt!

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Zulässigkeit von Bodycams – Veröffentlichung in NVwZ erschienen

In der Oktober-Ausgabe der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) ist mein Artikel zum Thema „Einsatz von Bodycams durch Polizeibeamte“ erschienen. Der Text untersucht die rechtlichen Anforderungen an die Nutzung der Schulterkameras für Polizeibeamte, insbesondere im Hinblick auf technisch-organisatorische Maßnahmen zum Schutze der Betroffenen.

Fundstelle: NVwZ 2017, S. 1424 (für Abonnenenten abrufbar bei Beck Online)

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