Götterdämmerung, Bayreuther Festspiele 2022 (Premiere, 6.8.2022)

In der Trash-TV-Sendung „Die Geissens“ erlebt der Zuschauer das Leben einer reichen, wohlstandsverwahrlosten und prolligen Familie, was Valentin Schwarz – nach dem ersten Aufzug der Götterdämmerung zu urteilen – zu seiner Ring-Inszenierung inspiriert hat. Dabei denken wir natürlich gleich an das Rheingold und die Walküre, wo ebenfalls eine reiche Familie zu sehen ist, so dass sich der Ring zur Götterdämmerung schließt. Nur: Was interessieren uns „die Geissens“?

An der Götterdämmerung zeigt sich erneut, dass Valentin Schwarz nicht in der Lage ist, Interesse an den Figuren zu wecken. Zu fern ist dem Zuschauer (wie auch den Regisseur) die dargestellte Welt, zu fremd die Akteure und ihre Handlungsmotivation.  Irgendwelche (neu eingeführten) Figuren machen irgendwas, vieles erschließt sich nach dem Lesen des Programmhefts, dem Anhören des (interessanten) Einführungsvortrags und des (gut gemachten) Podcasts sowie der anschließenden Diskussion, wer was gesehen hat und was wie gemeint gewesen sein könnte. Aber ist das ausreichend für eine Theateraufführung, zumal auf dem deutschen »Kultur-Olymp«? Sollte das Theater nicht zu allererst eine Verbindung mit den Zuschauer:innen aufbauen, Interesse für die Handlung und die Figuren wecken und verdeutlichen, warum man die 15 Stunden sehen und hören möchte? Wenn Gutrune auf Brünnhilde einprügelt oder Hagen Grane foltern lässt und ihm den Kopf abschneidet, wenn man also keinerlei Verbindung zu den Charaktern empfindet, dann wünscht man sich wenigstens eine klar strukturierte Interpretation. Das löst Schwarz aber nur in einzelnen Momenten in den vier Abenden ein, größtenteils lässt es einen einfach völlig kalt und berührt nicht.

Braucht man dem Wagnerianer liebe Artefakte und Handlungen wie den Ring an verschiedenen Händen, das Schwert Nothung, eine Schmiedeszene, einen Feuerzauber für eine gelungene Ring-Aufführung? Natürlich nicht, man kann auf alles verzichten – wenn einen überzeugenden Gegenentwurf präsentiert und verdeutlicht, weshalb man darauf verzichtet. Schwarz hat zwar Spaß daran, die „Symbole“ wegzulassen oder Handlungsstränge gegen den Strich zu bürsten – vielleicht auch, weil er die vermeintlich so konservativen Wagnerianer ärgern will. Aber die am Ende der Aufführung lautstark bekundete Verärgerung entsteht für den Zuschauer (sei er Wagnerianer oder nicht) doch vor allem daraus, dass keine vernünftige Alternative präsentiert wird, kein schlüssiges Ring-Konzept. Am gravierendsten gerät, dass der verkopfte Überbau auf keiner sinnvollen Personenführung aufbaut (besonders deutlich z. B. bei Hagens Mannen im 3. Aufzug, die reinkommen, sich irgendwie hinlegen und ca. 45 Minuten später wieder aufstehen oder wie die Rheintöchter und Siegfried zu Beginn des dritten Aufzugs gemeinsam rumstehen und ins Publikum singen uswusf.). Wenn sich am Schluss der Götterdämmerung die Auflösung der zahllosen Nebengeschichten darauf beschränkt, dass sich die Kinder im Mutterleib, die wir im Rheingold-Vorspiel sahen, vertraut und lieb aneinanderkuscheln, aus dem ständigen gegen-den-Strich-bürsten plötzlich ein platter Kitsch wird, dann wird schmerzhaft deutlich, wie banal diese Regiearbeit ausgefallen ist.

In vielen Facetten aufregend ist hingegen der musikalische Teil des Kunstwerks geraten. Allem voran natürlich endlich der famose Festspielchor, der auch weiterhin als einer der weltbesten (oder der beste?) Opernchor begeistern kann. Leider scheint die Regie mit dem Kollektiv nicht viel anfangen zu können, die Sänger:innen werden in engen Kutten versteckt und auf eine feingearbeitete, individuelle Personenführung wird verzichtet, obwohl der Chor doch im Castorf-Ring in Nahaufnahme gezeigt hat, wie engagiert und spielfreudig er ist. Aber das macht der Chor locker wett und begeistert durch die detaillierte musikalische Gestaltung wie eh und je. Nach der in diesem Jahr – nach Angaben der Festspiele – coronabedingt verminderten Größe freuen wir uns für das nächste Jahr wieder auf die alte Besetzungstärke. Das Dirigat von Cornelius Meister hat sich über die Abende deutlich gesteigert, auch die Götterdämmerung gerät flüssig und weniger stückhaft als zuvor. Als sich bei Brünnhildes Schlussgesang endlich ein großer, emotional mitreißender Bogen einstellen will, ruiniert Meister leider alles, indem er eine so riesenhafte wie unnötige  Generalpause einbaut – das Aufgebaute fällt zusammen und die musikalische Seite wird es so flach wie die Szene.

Auch die Sänger:innenbesetzung des Rings war von verschiedenen Herausforderungen höherer Gewalt und Erkrankungen geprägt, so dass diesmal gleiche Rollen durch verschiedene Sänger:innen besetzt werden mussten. Kurzfristig traf es den geschätzten Stephen Gould, der leider erkrankt war, ebenso wie – laut Meldung von BR-Franken – sein Cover Andreas Schager, der sich ebenfalls angeschlagen gefühlt habe. Der kurzfristige Einspringer Clay Hilley machte seine Sache hervorragend; eine kraftvolle, helle und gut geführte Stimme, der eine große Freude bereitet, auch wenn noch nicht alles gelang, was angesichts des kurzfristigen Einspringens nur zu verständlich ist. Irene Theorin als Brünnhilde konnte leider nicht auf diesem Niveau mithalten, zwar mit präsenter und intensiver Gestaltung, zugleich aber verwaschen und textunverständlich. Stark hingegen Albert Dohmen als Hagen, der zwar szenisch hölzern (wie schon im letzten Ring) spielt, aber doch selbst in seinem Alter stimmgewaltig und intensiv die Rolle gestaltet. Stark besetzt die Nebenrollen: Michael Kupfer-Radecky überzeugt als spielfreudiger und gesanglich intensiver Gunther; Elisabeth Teige macht die Gutrune zu einer echten Hauptrolle, Olafur Sigurdarson bleibt auf seinem bekannten Niveau. Die Waltraute von Christa Mayer klingt demgegenüber etwas verwaschen, was aber vielleicht auch an dem hier zähen Dirigat lag. Auch die harmonischen Nornen und Rheintöchter sind auf der Haben-Seite zu buchen.

Insgesamt also ein Ring, dem man die Strapazen der letzten Jahre (Zerschlagen der Pläne um Regisseurinnen, Corona, erkrankende Sänger usw.) anmerkt. Sicherlich wird sich das noch festigen und in den nächsten Jahren einspielen, selbst wenn man schon mit Vorfreude auf einen neuen Ring 2026 zum 150-jährigen Jubiläum der Uraufführung schielt.

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Siegfried, Bayreuther Festspiele 2022 (Premiere, 3.8.2022)

Nun ist er schon wieder fast beendet, der neue Ring – Wagners zu kurz geratenes Meisterwerk, das bei einer mittelmäßigen Aufführung aber sehr lange werden kann, wie man gestern in Bayreuth erleben konnte. Nachdem man den ersten beiden Abenden viel Positives abgewinnen konnte, überrascht nun Cornelius Meister mit einem zupackenden Dirigat und gutem Zusammenspiel mit dem Orchester, während die Solisten leider schwächeln und die Inszenierung vielen Zuschauern den letzten Nerv raubt. Der Siegfried ist (wundersamerweise) beim Publikum der wohl unbeliebteste Ring-Teil und er dürfte der am schwierigsten zu inszenierende Ring-Abend sein, an dem schon viele Regisseure gescheitert sind.

Viel wurde die neue Inszenierung von Valentin Schwarz mit Netflix-Serien verglichen. Das ist vielleicht dann treffend, wenn man die Serie „Freud“ heranzieht, die halbwegs interessant beginnt, dann aber in einen strukturlosen, die Handlungsarmut durch abstruse Effekte überspielenden Splatterporno abgleitet, die vermutlich nur (dafür bezahlte) Kritiker bis zur letzten Folge schauten. Auch Schwarz hat sich viel überlegt und versucht, neue Ideen und Zweithandlungen in die Szene einzubauen, was als Konzept vielleicht überzeugen konnte. Ein Konzept ist aber noch keine Umsetzung, wie wir in den Tagen zuvor bei interessanten Diskussionen im Regie-Symposium in Haus Wahnfried in verschiedenen Facetten diskutierten. Neben dem Konzept bedarf es auch der Umsetzung auf die Bühne, die vor allem Handwerk bedeutet. Und Schwarz mangelt es leider an grundlegenden handwerklichen Fähigkeiten, eine Inszenierung auf der Bühne in einer logischen und den Abend tragenden Art und Weise umzusetzen. Die konzeptuellen Ideen mögen interessant sein – und es gibt viel Innovatives dabei, wie z. B. die QR-Codes im Programmheft, über die die Geschichte online weitererzählt wird – aber auf der Bühne bleibt eigentlich nichts davon übrig.

Der „Siegried“ wird so leider zum Flop. Der erste Aufzug gerät uninteressant und willkürlich. Siegfried hat wohl Geburtstag, was sich nur an Girlanden und Luftballons, nicht an Interaktion der Protagonisten zeigt. Es gibt eine chaotische Wohnung, ein Kasperltheater. Es gibt ein paar Puppen, die Siegfried mit dem Schwerz malträtieren wird, weil er von seiner schlimmen Kindheit traumatisiert ist (wie originell). In der Schwertschmiedeszene passiert eigentlich nichts, Nothung ist erst kaputt im Aquarium, dann wird eine Krücke aus einem Paket geholt, aus der dann Nothung rausgezogen wird, dann ist wieder die Pistole da, dann ist der 1. Aufzug beendet. Die gravierenden handwerklichen Mängel zeigen sich dann umso mehr im 2. Aufzug: Fafner als alter Mann im Krankenbett, der auch kurz vor dem Tod auf seinem Geldhaufen sitzt und nur seinen Reichtum mehrt, statt sich um nachfolgende Generationen zu sorgen? Das kann man schon machen. Aber dann muss man es konsequent umsetzen und weiterspinnen. Stattdessen kämpft Siegfried gegen Fafner, indem er ihm grundlos den Rollator wegzieht, dann kurz erschrocken tut – und dann ist Fafner auch schon tot. Zwei stumme Figuren, Fafners Pflegerin und Pfleger tun irgendwas, der Pfleger schaut böse nach vorne (zu Siegfried? zu Fafner? ins Publikum?) und wirft etwas aufs Bett. Die Pflegerin zieht ihre Schürze aus und wirft sie wütend in der Gegend herum. Ist sie auf Siegfried wütend, weil er ihren Arbeitgeber umgebracht hat? Sie ist wohl auf Fafner wütend und froh, dass er tot ist, weil er sie zu Beginn des 2. Aufzugs einmal sexuell belästigt hatte (wenn man in diesem Moment gerade woanders hingeschaut hatte, versteht man es nicht mehr). Diese Nebenhandlung ist so merkwürdig, da Fafner/Siegfried vorne an der Rampe stehen, die Nebenfiguren aber weit hinten und Schwarz es nicht schafft verständlich zu machen, wer mit wem warum agiert. Auch die Szene vor Mimes Ermordung bleibt strukturlos und banal, indem die Sänger einfach auf dem Sofa sitzen und nach vorne sehen, es findet keine Interaktion untereinander statt. Nicht besser wird es dadurch, dass „das Rheingold“ in Form des Jungen, der zum jungen Mann heranreifte, danebensitzt. Auch er lief schon zuvor in der Gegend herum, aber wir wissen nicht, warum er das tat und was er da so machte. Der 3. Aufzug gerät dann endlich weniger schlimm, – man langweilt sich nur noch, statt sich zu ärgern. Wobei dann wieder Erda eine Pistole an Wotan reicht und ihn zum Selbstmord auffordert, obwohl Erda bekanntlich nicht wendet und wandelt, sondern nur zur Kenntnis nimmt. Da Schwarz aber die Regie zurücknimmt und die Sänger:innen singen lässt, wird es nach dem Vorherigen deutlich angenehmer.

Leider ist auch das sängerische Niveau nicht so, wie wir es aus Vorabend und erstem Abend kannten. Andreas Schager brüllt sich durch die Aufzüge, was im ersten Aufzug noch irgendwie erträglich ist, ab dem zweiten aber nicht mehr, da ihm Piano und Mittellagen fehlen und die Spitzentöne ständig danebengehen und die Vokale verrutschen (Monn statt Mann usw. – wie wohltuend im Vergleich dazu Alexandra Steiner als Waldvogel). Arnold Bezuyen, in Bayreuth seit vielen Jahren in kleineren Rollen sehr geschätzt, keift sich durch den Mime, bleibt unverständlich und verwaschen, was zu der Charakterpartie einfach nicht passen mag. Tomasz Konieczny singt wie bekannt: mit beachtlichem Volumen, aber sehr unangenehmen Vokalverfärbungen, das Wotan-Format fehlt ihm leider. Olafur Sigurdarson gefällt wieder als stimmgewaltiger Alberich, bei dem man sich aber mehr Textverständlichkeit wünschen würde. Überzeugen können aber Okka von der Damerau als dunkle und vielschichtige Erda und Wilhelm Schwinghammer als sonorer und präsenter Fafner. Daniela Köhler ist eine erstklassige Brünnhilde, wohlklingend und textverständlich. Heil uns, dass sie den Abend rettet.

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Die Walküre, Bayreuther Festspiele 2022 (Premiere, 1.8.2022)

Der erste Abend des neuen „Rings“ nach dem gestrigen Vorabend ist vollbracht, die Walküre vorbei und der ganze Ring leider fast schon wieder vorbei. Das Highlight vorweg: im 3. Aufzug findet sich ein größerer Spiegel auf der Bühne, der es teilweise gestattete, in der Spiegelung dem Souffleur Lucio Golino zuzusehen. Es war bewegend, der detailgetreuen Unterstützung der Sänger:innen zuzusehen und das lautmalerische Mitdirigieren zu erleben.

Der Ring nimmt an Fahrt auf, was vor allem einer Reihe von exzellenten Sänger:innen zu verdanken ist. Im ersten Aufzug begeistern Georg Zeppenfeld als sonorer, klarer und bösartiger Hunding und Lise Davidsen als präsente Sieglinde, mit einer bombigen Mittellage, über die sie Tiefen und Höhen eindrücklich erreicht. Auch Klaus Florian Vogt kann begeistern, selbst wenn ihm die Partie eigentlich zu tief liegt und mancher große Bogen mit mehr Wucht zu wünschen wäre. Aber die Stimme hat in den letzten Jahren an Grundierung gewonnen und schöner kann man Siegmund eigentlich nicht singen. Dirigat und Orchester brauchen bis zum dritten Aufzug, um in Schwung zu kommen, das Kammerspiel des 1. Aufzugs gerät noch verwaschen und zu mild.

Auch im Weiteren wird auf hohem Niveau gesunden. Christa Mayer ist eine präsente Fricka, teils etwas metallisch, aber vor allem in den Höhen beeindruckend. Iréne Theorin als Brünnhilde ist stimmlich präsent mit großem Volumen, leider sehr textunverständlich und verwaschen klingend, eine großartige Sängerin, aber leider keine Idealbesetzung für die Brünnhilde. Tomasz Konieczny hat eine präsente Wucht, seine unangenehmen Vokalverfärbungen werden schnell besser. Leider verletzt er sich bei einem (vom Publikum als Regie-Gag vermuteten) Vorfall und muss nach dem 2. Aufzug abbrechen. Gute Besserung!! Im 3. Aufzug springt Michael Kupfer-Radecky als Wotan ein – und singt sich gleich in die Herzen des Publikums. Er singt einfach sensationell: eine Textklarheit und -verständlichkeit, wie man sie sonst nie hört (die mit seiner leichteren Stimme vielleicht nur dank der magischen Bayreuther Bretter möglich ist), zugleich lautmalerisch mit einer prägenden Rollengestaltung. Auch szenisch spielt er intensiv und macht den 3. Aufzug zu einem Highlight.

Szenisch häufen sich die Logik-Lücken. Der 1. Aufzug ist reichlich bieder und besteht vor allem aus dem Putzen des Sicherungskastens (Sieglinde schon schwanger, man denkt erst, von Hundig, was keinen Sinn ergeben würde, dann wird klar, dass Wotan der Vater sein muss, was nur wenig mehr Sinn hat). Im 2. Aufzug sind wir wieder in Walhalls Wohnzimmer (Freia hat Selbstmord begangen – da die Götter nun ihre Äpfel nicht mehr haben, müsste die Geschichte nun eigentlich zu Ende sein), in den großen Szenen Wotan-Fricka und Wotan-Brünnhilde interagieren die Protagonisten nicht miteinander, sondern mit dritten Personen auf der Bühne. Der Walkürenritt im 3. Aufzug ist wieder das aus dem Rheingold bekannte Chaos der zu eng und strukturlos platzierten Sänger:innen. Gegen Ende wird dann das Bühnenbild abgeräumt und Wotan steht allein auf der schwarzen, leeren Bühne im Lichtkegel – diese Minuten sind das Highlight des Abends, endlich kehrt etwas Ruhe ein und die Musik trägt uns zum Feuerzauber.

Heute ist nun der erste spielfreie Tag und damit Zeit, das Regie-Symposium in Haus Wahnfried zu besuchen.

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Das Rheingold, Bayreuther Festspiele 2022 (Premiere, 31.7.)

Was lange währt, wird endlich gut? Nachdem der neue „Ring“ 2020 corona-bedingt nicht aufgeführt werden konnte, ist es nun 2022 nach mehreren Ring-losen Jahren in Bayreuth endlich soweit und der Nachfolger des legendären Castorf-Rings erblickt das Licht der Welt. Das Licht der Welt erblicken auch zwei Kinder, die wir im Vorspiel in einer Videoprojektion sehen, die sich wohl schon im Mutterleib spinnefeind sind – Wotan und sein „Schatten“ (C. G. Jung) Alberich. Der Beginn einer großen spannenden Sage?

Die erste Szene beginnt in einem Pool mit Rheintöchtern und Kindern (toll gespielt von den Kinderstatisten!), in dem etwas geplanscht wird und Alberich dann das Rheingold (in Form eines Kindes) entwendet, anschließend finden wir uns in Wotans Walhall wieder, einer Villa mit Bewohnern im Stile von „House of Gucci“, garniert mit reichlich platter Kapitalismus-Kritik (Loge springt an Handy, die Götter lassen sich Schampus von Bediensteten kredenzen). Nibelheim ist eine Kinder-Aufzucht-Station, wohl in Anspielung auf eine Netflix-Serie (wie man anschließend von aktiveren Serien-Sehern erfahren kann), bevor es zurück in die Villa Walhall geht. Es werden verschiedene Symbole gezeigt, z. B. eine leuchtende Pyramide, die gegen Ende ein zentrales Utensil wird und der pädophil veranlagte Alberich scheint das Rheingold in Form des lebenden Kindes zu missbrauchen, verschiedene Mädchen werden als Humanmaterial herangezüchtet. Von anderen Zuschauern erfährt man nach der Aufführung, dass einzelne Kinder z. B. Hagen oder Brünnhilde sein sollen, ohne dass sich das aus der Szene heraus ergibt – und ohne, dass man ein besonderes Interesse für die Charaktere entwickeln würde.

Es passiert also zwar einerseits einiges auf der Bühne, andererseits passiert nichts. Die knappen 2,5 h ziehen sich wie Brei und das Interesse an den Figuren und ihren Handlungen schwindet denkbar schnell. Trotz aller Bedeutungshuberei bleiben die Charaktere auf der Bühne einem fremd, es wird keine Beziehung zwischen Publikum und Szene aufgebaut, so dass man schon ab der 2. Szene kein Interesse mehr daran hat, wie sich der Ring bis zur Götterdämmerung schließen wird. Die handwerklichen Mängel sind schwer in Worte zu fassen, da die Inszenierung zwar wohl durchdacht, dennoch denkbar dröge daherkommt. Beispielhaft sei genannt, dass bei Wotans „Lass ihn droh’n! Sahst du nicht Loge?“ plötzlich ein Diener auftritt, der von der Frage angesprochen wird und dann hektisch Loge sucht – vor der Frage haben wir ihn noch nicht gesehen, er taucht einfach auf, um von Wotan die Frage gestellt zu bekommen, ohne dass er vorher eingeführt worden wäre. Besonders anstrengend ist die 4. Szene, in der das beengte Bühnenbild der Villa mit Charakteren überfüllt ist, in der es völlig an Struktur fehlt, alle sitzen und stehen irgendwie auf- und umeinander, es bleibt unklar, wer mit wem warum (nicht) agiert – ein großes Chaos, schwer erträglich anzusehen. Problematisch ist zudem, dass viele zentrale Szenen, wie Wotans Auftritte in seinem Schlafzimmer oder die Befreiung Freias ganz links am Bühnenrand stattfinden und so für das links-sitzende Publikum nicht sichtbar sind.

Musikalisch ist die Aufführung leidlich gut. Cornelius Meister, relativ kurzfristig eingesprungen, wählt den sicheren Weg und arbeitet sich kapellmeisterlich durch die Partitur, mit nur einzelnen Höhepunkten, vor allem in den Zwischenspielen. Vielleicht wird die Musik auch von der Szene nach unten gezogen, aber wirklich packend wird es nicht. Gesungen wird auf hohem Niveau, allen voran die großartige Okka von der Damerau als Erda (sie müsste garnicht das Tablett zu Boden werfen, um das Publikum zu wecken, sie würde das auch stimmlich schaffen), Christa Mayer als intensive, vielschichtige Fricka und der sehr präsente und stimmmächtige Olafur Sigurdarson als Alberich. Daniel Kirch als Loge scheint zu baritonal und angestrengt, präsent sind auch Jens-Erik Aasbø und Wilhelm Schwinghammer als Fasolt und Fafner. Egils Silins gefällt als präsenter Wotan, heraus ragt Attilio Glaser als Froh.

Nur mäßig froh gestimmt sind wir nun also auf die heutige Walküre gespannt.

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