Opern-Kritik: Lohengrin, Wiener Staatsoper (Homoki/Franck)
Im Treppenaufgang auf dem Weg zum Platz spricht mich eine neben mir laufende Frau mit strahlendem Gesicht an: „Heute wird es ein toller Abend! Die Premiere war nicht so gelungen, aber heute Abend wird es toll – ich spüre es!“. Über soviel positive Energie erfreut stieg die Spannung – und wurde nicht enttäuscht. Vielleicht hat die Dame ihre Energie ja tatsächlich auf die Künstler übertragen. So überzeugte die 2. Lohengrin-Aufführung der neuen Serie mit hohem musikalischem Niveau und einer detailgenauen Inszenierung.
Homoki hat ja in weiten Kreisen den Titel des „Regietheaterverbrechers“ verliehen bekommen. Ich habe nie verstanden warum, immerhin modernisiert er nur behutsam und legt großen Wert auf genaues Partiturlesen und eine nachvollziehbare Erzählung der Geschichte. Der Lohengrin ist dabei sicherlich nicht der ganz große Wurf, sondern bleibt viel zu brav und zurückhaltend. Eine für Repertoire gut geeignete Inszenierung, von der man denken sollte, dass sie auch den Konservativen gefällt, da sie sich größtenteils auf die „bloße Erzählung der Geschichte“ beschränkt (soweit das möglich ist).
Dabei beginnt es noch mit einem großartigen ersten Aufzug, der sehr genau gearbeitet ist und dank behutsamer Bebilderung im Vorspiel die Geschichte erst richtig verständlich macht. Auch die Verlegung in eine ländliche Gegend in Bayern, Österreich oder Schweiz überzeugt, da so glaubhaft wird, dass das Volk so einfach sich von dem „Wunder“ blenden lässt. Die genaue und detailreiche Personenführung mit vielen den Text verdeutlichenden Kleinigkeiten macht den ersten Aufzug ungemein spannend. Besonders begeistern kann die Chorführung und das Auftreten König Heinrichs. Das ist ja meist eine sehr statische Partie, der König steht halt gewichtig da und singt bedeutungsschwanger – nicht so in Wien. Hier wird, angelehnt an die nachgewiesene Historie, der König gezeigt als einer, der einen fernen Winkel seines Reiches besucht, das Volk ersteinmal auf seine Seite bringen muss und um die Teilnahme an seinem Krieg noch werben muss. Telramund ist da ein echter Gegenspieler Heinrichs, der bis zu diesem Zeitpunkt einen großen Teil des Volkes hinter sich hat und gegen den König intrigiert. Insofern wird auch Elsa instrumentalisiert. Überhaupt schauspielert Günther Groissböck grandios und macht auch seine Zweifel an Elsas Schuld und seine Zurückhaltung der Verurteilung bewegend deutlich. Insgesamt ist das schlicht grandios gearbeitet.
Leider kann das Niveau nicht gehalten werden, in den beiden weiteren Aufzügen passiert nurnoch wenig neues, die Geschichte nimmt halt ihren Lauf. Insofern wundern auch die Aussagen „das Bühnenbild wird langweilig“ nicht – auch wenn es eher die Inszenierung als das Bühnenbild sein dürfte. So wird Elsa gezeichnet wie man sie halt kennt als das kleine, zurückhaltende Mädchen, statt als die selbstbestimmte und willensstarke Frau die sie ist. Auch das Thema Nationalismus wird durch die ländliche Umgebung zwar angedeutet, dann aber nicht weiter ausgeführt, obwohl sich das ja angeboten hätte (umso mehr wenn man es ohne den letzten Strich gespielt hätte oder „Führer“ statt „Schützer“ singt). Aber das ist Kritik auf hohem Niveau, es gibt durchgehend eine Personenführung und eine klare Linie, was ja schon mehr ist als viele Inszenierungen bieten.
Durchaus überzeugen kann Mikko Franck mit einem zupackenden und sängerfreundlichen Dirigat, auch wenn das Vorspiel wenig sphärisch gelingt und öfters Lautstärke und Effekt dominieren. Aber ebenso gibt es viele berührende Stellen und insgesamt eine packende Aufführung. Auch der Chor war schauspielerisch und musikalisch ausgezeichnet.
Sängerisch ist das Niveau ganz vorzüglich. Allen voran natürlich mit derzeit DEM Lohengrin schlechthin, Klaus Florian Vogt. Seine Stimme kann man mögen oder nicht – nicht leugnen kann man hingegen seine differenzierte und genaue Interpretation der Rolle und seine ständige, mühelose stimmliche Präsenz. Er begeistert zudem mit einer genauen Gestaltung der Rolle und vermittelt überzeugend, diese im Detail zu kennen. Sicherlich keine Holzhammerinterpretation, sondern eine zarte und dezente. Dem nicht nach steht Günther Groissböck, der zwar weniger Tiefe haben mag, als manch anderer großer Vorgänger, aber gerade dadurch der Rolle ein besonderes Etwas gibt. Völlig Textverständlich, detailreich ausgestaltend und interpretierend, stimmschön und den großen Bogen stets erkennen lassend ist dieser kluge Sänger ein echtes Erlebnis. Auch Wolfgang Koch begeistert mit einer großen stimmlichen Präsenz und mitreißenden Gestaltung – auch wenn er die Partitur doch eher etwas frei nimmt und öfters mit dem Holzhammer gestaltet. Ein beeindruckender, ungemein präsenter Telramund. Ebenfalls überzeugen konnte Detlef Roth als Heerrufer. Sicherlich hat er eine für die Partie ungewöhnlich (zu?) helle, fast schon tenorale, Stimme. Dennoch überzeugt auch er mit einer sehr genauen Interpretation und Gestaltung der Rolle ebenso wie mit großer Textverständlichkeit. Nicht mithalten können die Damen. Camilla Nylund klingt öfters angestrengt und etwas breiig, da wäre deutlich mehr drin. Auch Michaela Martens als Ortrud ist der Rolle nicht gewachsen, sie klingt etwas piepsig und zu angestrengt. Allerdings gibt es ja derzeit kaum jemanden, der die Rolle adäquat singen kann und insbesondere der Schluss gelingt ihr durchaus achtbar. Da sie auch ungemein präsent schauspielert, geht das insgesamt durchaus in Ordnung – die einzelnen Buhs waren jedenfalls völlig daneben. Insgesamt also eine sehr gelungene und runde Aufführung, deren Besuch absolut lohnte.
PS: Die Kritik bezieht sich auf die 2. Vorstellung der Serie vom 16.4.2014.