Nun ist er schon wieder fast beendet, der neue Ring – Wagners zu kurz geratenes Meisterwerk, das bei einer mittelmäßigen Aufführung aber sehr lange werden kann, wie man gestern in Bayreuth erleben konnte. Nachdem man den ersten beiden Abenden viel Positives abgewinnen konnte, überrascht nun Cornelius Meister mit einem zupackenden Dirigat und gutem Zusammenspiel mit dem Orchester, während die Solisten leider schwächeln und die Inszenierung vielen Zuschauern den letzten Nerv raubt. Der Siegfried ist (wundersamerweise) beim Publikum der wohl unbeliebteste Ring-Teil und er dürfte der am schwierigsten zu inszenierende Ring-Abend sein, an dem schon viele Regisseure gescheitert sind.
Viel wurde die neue Inszenierung von Valentin Schwarz mit Netflix-Serien verglichen. Das ist vielleicht dann treffend, wenn man die Serie „Freud“ heranzieht, die halbwegs interessant beginnt, dann aber in einen strukturlosen, die Handlungsarmut durch abstruse Effekte überspielenden Splatterporno abgleitet, die vermutlich nur (dafür bezahlte) Kritiker bis zur letzten Folge schauten. Auch Schwarz hat sich viel überlegt und versucht, neue Ideen und Zweithandlungen in die Szene einzubauen, was als Konzept vielleicht überzeugen konnte. Ein Konzept ist aber noch keine Umsetzung, wie wir in den Tagen zuvor bei interessanten Diskussionen im Regie-Symposium in Haus Wahnfried in verschiedenen Facetten diskutierten. Neben dem Konzept bedarf es auch der Umsetzung auf die Bühne, die vor allem Handwerk bedeutet. Und Schwarz mangelt es leider an grundlegenden handwerklichen Fähigkeiten, eine Inszenierung auf der Bühne in einer logischen und den Abend tragenden Art und Weise umzusetzen. Die konzeptuellen Ideen mögen interessant sein – und es gibt viel Innovatives dabei, wie z. B. die QR-Codes im Programmheft, über die die Geschichte online weitererzählt wird – aber auf der Bühne bleibt eigentlich nichts davon übrig.
Der „Siegried“ wird so leider zum Flop. Der erste Aufzug gerät uninteressant und willkürlich. Siegfried hat wohl Geburtstag, was sich nur an Girlanden und Luftballons, nicht an Interaktion der Protagonisten zeigt. Es gibt eine chaotische Wohnung, ein Kasperltheater. Es gibt ein paar Puppen, die Siegfried mit dem Schwerz malträtieren wird, weil er von seiner schlimmen Kindheit traumatisiert ist (wie originell). In der Schwertschmiedeszene passiert eigentlich nichts, Nothung ist erst kaputt im Aquarium, dann wird eine Krücke aus einem Paket geholt, aus der dann Nothung rausgezogen wird, dann ist wieder die Pistole da, dann ist der 1. Aufzug beendet. Die gravierenden handwerklichen Mängel zeigen sich dann umso mehr im 2. Aufzug: Fafner als alter Mann im Krankenbett, der auch kurz vor dem Tod auf seinem Geldhaufen sitzt und nur seinen Reichtum mehrt, statt sich um nachfolgende Generationen zu sorgen? Das kann man schon machen. Aber dann muss man es konsequent umsetzen und weiterspinnen. Stattdessen kämpft Siegfried gegen Fafner, indem er ihm grundlos den Rollator wegzieht, dann kurz erschrocken tut – und dann ist Fafner auch schon tot. Zwei stumme Figuren, Fafners Pflegerin und Pfleger tun irgendwas, der Pfleger schaut böse nach vorne (zu Siegfried? zu Fafner? ins Publikum?) und wirft etwas aufs Bett. Die Pflegerin zieht ihre Schürze aus und wirft sie wütend in der Gegend herum. Ist sie auf Siegfried wütend, weil er ihren Arbeitgeber umgebracht hat? Sie ist wohl auf Fafner wütend und froh, dass er tot ist, weil er sie zu Beginn des 2. Aufzugs einmal sexuell belästigt hatte (wenn man in diesem Moment gerade woanders hingeschaut hatte, versteht man es nicht mehr). Diese Nebenhandlung ist so merkwürdig, da Fafner/Siegfried vorne an der Rampe stehen, die Nebenfiguren aber weit hinten und Schwarz es nicht schafft verständlich zu machen, wer mit wem warum agiert. Auch die Szene vor Mimes Ermordung bleibt strukturlos und banal, indem die Sänger einfach auf dem Sofa sitzen und nach vorne sehen, es findet keine Interaktion untereinander statt. Nicht besser wird es dadurch, dass „das Rheingold“ in Form des Jungen, der zum jungen Mann heranreifte, danebensitzt. Auch er lief schon zuvor in der Gegend herum, aber wir wissen nicht, warum er das tat und was er da so machte. Der 3. Aufzug gerät dann endlich weniger schlimm, – man langweilt sich nur noch, statt sich zu ärgern. Wobei dann wieder Erda eine Pistole an Wotan reicht und ihn zum Selbstmord auffordert, obwohl Erda bekanntlich nicht wendet und wandelt, sondern nur zur Kenntnis nimmt. Da Schwarz aber die Regie zurücknimmt und die Sänger:innen singen lässt, wird es nach dem Vorherigen deutlich angenehmer.
Leider ist auch das sängerische Niveau nicht so, wie wir es aus Vorabend und erstem Abend kannten. Andreas Schager brüllt sich durch die Aufzüge, was im ersten Aufzug noch irgendwie erträglich ist, ab dem zweiten aber nicht mehr, da ihm Piano und Mittellagen fehlen und die Spitzentöne ständig danebengehen und die Vokale verrutschen (Monn statt Mann usw. – wie wohltuend im Vergleich dazu Alexandra Steiner als Waldvogel). Arnold Bezuyen, in Bayreuth seit vielen Jahren in kleineren Rollen sehr geschätzt, keift sich durch den Mime, bleibt unverständlich und verwaschen, was zu der Charakterpartie einfach nicht passen mag. Tomasz Konieczny singt wie bekannt: mit beachtlichem Volumen, aber sehr unangenehmen Vokalverfärbungen, das Wotan-Format fehlt ihm leider. Olafur Sigurdarson gefällt wieder als stimmgewaltiger Alberich, bei dem man sich aber mehr Textverständlichkeit wünschen würde. Überzeugen können aber Okka von der Damerau als dunkle und vielschichtige Erda und Wilhelm Schwinghammer als sonorer und präsenter Fafner. Daniela Köhler ist eine erstklassige Brünnhilde, wohlklingend und textverständlich. Heil uns, dass sie den Abend rettet.