Nach einigen Jahren Pause wurde am 20.1.2013 die Inszenierung der „Götterdämmerung“ von Peter Konwitschny (Dramaturgie: Peter Hintze) in Stuttgart wieder aufgenommen. Der Stuttgarter Ring ist bekannt für seine vier Regisseure der vier Teile, wodurch man in der Götterdämmerung nicht unbedingt die drei vorangegangenen Teile gesehen haben muss, um die Inszenierung genießen zu können.
Änderungen im Orchester dürfte es nur wenige gegeben haben, die Rollen der Darsteller sind jedoch komplett neu besetzt, auch der Dirigent neu in der Produktion. Es bestand also durchaus die Gefahr, dass von der alten Qualität nichts mehr übrig geblieben wäre. Dem ist aber nicht so! Die Aufführung ist rundherum gelungen, sehr sauber einstudiert und hervorragend besetzt.
Zum Musikalischen fasse ich mich kurz, hier können die meisten Leser sich am 3.2.2013 einen Eindruck bilden, wenn wir uns zu der Reise aufmachen. Das Dirigat ist sehr melodisch und packend, abwechslungsreich und spannend. Das Orchester spielt ausgesprochen klangschön und weich. Die Sänger sind durchgehend gut, wobei die Qualität durchaus sich merklich unterscheidet. Sehr gut harmonierten sowohl die mitreißenden Rheintöchter als auch die Nornen (die auch in der Inszenierung verknüpft sind). Stimmlich etwas blass blieben die Waltraute von Marina Prudenskaja und Gutrune (Simone Schneider).
Eine Überraschung war für mich Irmgard Vilsmeier, die ich bislang nur in kleineren Rollen gehört hatte. Auch wenn ihre Stimme nicht die Schönste ist, hat sie doch Dramatik, Volumen und Ausdruckskraft, um rollendeckend zu singen. Besonders hervorzuheben ist ihre beeindruckende Textverständlichkeit – eine für eine Brünnhilde wahrlich seltene Tugend. Überzeugen konnten auch Attila Jun als Hagen, der die nötige Boshaftigkeit und Kraft für die Rolle mühelos stemmte und Michael Ebbecke als Alberich, den man angesichts seiner mitreißenden Gestaltung gerne länger gehört hätte. Besonders begeistern konnte Shigeo Ishino als Gunther, der die Partie ausgesprochen klangschön, und harmonisch gestaltete. Ein Sänger, von dem wir sicherlich noch einiges hören werden. Über Stefan Vinke muss wohl kein Wort verloren werden: Weiterhin gehört er ohne Frage zu den besten Sängern dieser Partie, die derzeit auf der Bühne stehen. Er bringt alle Kraft, Gestaltungsfähigkeit und Freude am Spiel, die diese Rolle nötig machen, locker mit sich. Hoihe!
Besonders spannend war für mich die Wiederbegegnung mit der Inszenierung Peter Konwitschnys, die ich vor knapp 10 Jahren nicht so gelungen fand. Wie habe ich mich getäuscht! Es ist nicht weniger als eine der besten Wagner-Inszenierungen, die zumindest in den letzten 10 Jahren auf einer Opernbühne gespielt wurden (wahrscheinlich aller Zeiten). Die detailreiche, psychologische Ausleuchtung der Rollen und Interpretation des Stücks suchen ihresgleichen. Die Ernsthaftigkeit, mit der das Handeln der Personen dargestellt wird, das Mitleiden mit ihrem Denken und Handeln sind atemberaubend. Dabei kommen sogar diejenigen auf ihre Kosten, die Indianerfelle und Stierhörner sehen möchten – dies folgt logisch aus der Darstellung, wie Siegfried aus seiner Kinderwelt in die politische und korrupte Welt der Menschen gestoßen wird und unfähig ist, den dortigen Intrigen zu begegnen.
So war die Waltauten-Szene für mich die szenisch mit großem Abstand spannendste, die ich je gesehen habe. Brünnhilde ist vorbereitet auf Siegfrieds Rückkehr, indem sie den Tisch schön gedeckt und das Essen vorbereitet hat. Waltraute ist nicht willkommen, Brünnhilde hat mit Wotans Sippe gebrochen, also bleibt sie versteinert und hört nur mit einem Ohr zu – natürlich bekommt Waltraute nichts zu essen angeboten. Die Gleichgültigkeit ändert sich erst, als Brünnhilde schockiert erfahren muss, dass Wotan im Moment größter Trauer ihr gedachte – eine berührende Szene. Vor allem da Brünnhilde dieselbe Gleichgültigkeit erleiden muss, wenn sie Siegfried wiedertrifft.
Essen spielt auch im zweiten Aufzug eine wichtige Rolle – in Form eines Gugelhupfes. Die Meisterschaft Konwitschnys zeigt sich hieran allzu eindrucksvoll. Er kehrt wieder in den verschiedensten Momenten in der verschiedensten Form, mit der verschiedensten Verwendung. Hausfrau Gutrune backt ihn nicht nur für Siegfried, sondern bietet der erschütterten Brünnhilde zum Schluss auch ein Stück zur Aufheiterung an – schätzen kann Brünnhilde dies natürlich nicht. Welche Schmerzen ihr zugefügt wurden durch den ignoranten Siegfried, musste auch der Zuschauer all zu deutlich ertragen.
Im dritten Aufzug gibt es fast eine Erholung – der Bär als Motiv für Siegfrieds Erwachsenwerden kehrt zurück, die Rheintöchter erhalten den Ring nicht zurück und Hagen versucht, seine ihm zugewiesen Lebensaufgabe zu vollenden. Er scheitert bekanntlich, zurück bleibt vorerst Brünnhilde, dann nur die Menschen, während die Dämmerung der Götter in allen von Wagner geschriebenen Nuancen zu sehen ist. Wir werden ratlos zurückgelassen.
Anmerkung: Die Kritik wurde geschrieben für den Newsletter des Richard-Wagner-Verbandes Ulm/Neu-Ulm.